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Am 2. Januar 2023 wurde in Italien ein als „Piantedosi-Dekret“ bekanntes Gesetz eingeführt, das „Dringende Maßnahmen zur Steuerung der Migrationsströme“ fordert. Ein neuer politischer Schritt in Italien, der unsere Arbeitsabläufe auf See mit der Ocean Viking verändert. 

Seit der Verabschiedung dieses Dekrets müssen zivile Rettungsschiffe nach einem einmaligen Rettungseinsatz ohne jede Verzögerung einen zugewiesenen „sicheren Ort“ ansteuern. Tun sie dies nicht, werden sie nach der Rückkehr in einen italienischen Hafen festgesetzt und mit hohen Geldstrafen belegt. Gleichzeitig haben die italienischen Behörden damit begonnen, weit entfernte Ausschiffungshäfen zuzuweisen. Dadurch werden humanitäre Schiffe daran gehindert, in den Gebieten zu patrouillieren, wo es zu Schiffbrüchen kommt. Dies macht die Rettung von Booten in Seenot über längere Zeiträume unmöglich. 

Welche Folgen hat die Anwendung dieses Dekrets für die Such- und Rettungseinsätze im zentralen Mittelmeer? 

Am 15. November und am 30. Dezember ordneten die italienischen Behörden eine Verwaltungsstrafe für das Seenotrettungsschiff Ocean Viking an: Eine 20-tägige Festsetzung und eine Geldstrafe von 3.300 € gegen den Reeder des Schiffes. Dadurch wird eine humanitäre Hilfeleistung bestraft. Die Strafe wurde verhängt, nachdem unsere Teams jeweils 128 und 244 Menschen gerettet hatten. Seit Anfang des Jahres ist dies die 15. Inhaftierung eines humanitären Schiffes. Für die Ocean Viking und ihre Teams bedeutet dies 40 Tage im Hafen, während das Jahr 2023 das tödlichste seit 2017 war. 

Gleichzeitig unterliegen SOS MEDITERRANEE und andere zivile Such- und Rettungsorganisationen seit Anfang 2023 einer neuen Vorgehensweise des italienischen Koordinationszentrums für Seenotrettung, welche die Zuweisung sicherer Häfen für die Anlandung von auf See geretteten Menschen betrifft. Nach jedem Rettungseinsatz oder -serie wurden der Ocean Viking systematisch Häfen zugewiesen, die sehr weit vom zentralen Mittelmeer entfernt sind. Die zivilen Rettungsschiffe sind jedoch genau deshalb dort präsent, um die Lücke zu füllen, die die europäischen Staaten hinterlassen haben. 

Anstatt einen sicheren Ort wie Pozzallo auf Sizilien, den Referenzhafen in diesem Gebiet, zugewiesen zu bekommen, was einen schnellstmöglichen Abschluss der Rettungsmassnahmen ermöglichen würde, musste die Ocean Viking insgesamt mehr als zwei Monate (kumulativ) zusätzlich fahren, um gerettete Personen in weit entfernten Häfen an Land zu bringen. Diese unnötigen Fahrten schaden der physischen und mentalen Gesundheit der geretteten Personen, da sie oft schwierigen Wetterbedingungen ausgesetzt sind und es länger dauert, bis sie an Land eine angemessene Versorgung erhalten. 

Als Beispiel wurde uns im Januar 2023 der Hafen von Ancona als sicherer Ort zugewiesen. Auf dem Weg dorthin erlebten die Überlebenden und die Besatzung der Ocean Viking einen Sturm mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 75 km/h und Wellen von bis zu sechs Metern. Dies, obwohl die Ocean Viking die italienischen Behörden gewarnt und um einen näheren sicheren Hafen gebeten hatte. Mehr als 95% der Menschen an Bord wurden trotz der medizinischen Behandlung durch das medizinische Team seekrank. 

Darüber hinaus führt die Zuweisung von „sicheren Orten“, die weit von den Rettungszonen entfernt sind, zu einem drastischen Anstieg des Treibstoffverbrauchs. Anstatt den nächstmöglichen Hafen in Sizilien anzusteuern, legte die Ocean Viking 2023 über 21.000 zusätzliche Kilometer zurück, um die weit entfernten Häfen zu erreichen. Diese unnötigen Kilometer, die ausreichen würden, um die Hälfte der Erdkugel zu umrunden, haben mehr als 500.000 Euro an Treibstoffkosten verursacht. 

SOS MEDITERRANEE verurteilt nachdrücklich die Anwendung des Gesetzesdekrets vom 2. Januar 2023 Nr. 1 durch die italienischen Behörden. Durch Festsetzungen und die Zuweisung von weit entfernten Häfen fehlt es im zentralen Mittelmeer wiederholt an Rettungsschiffen. Dies, obwohl dort 2023 mindestens 2756 Menschen ihr Leben verloren haben. 

Anstatt eine angemessene Antwort auf die humanitäre Krise auf See zu finden, reagieren die Regierungen der europäischen Staaten mit der Blockierung derjenigen, die versuchen, Leben zu retten. Dies steht in völligem Widerspruch zur Pflicht zur bedingungslosen Hilfeleistung, die nach internationalem Recht geboten ist.

 

Fotocredits: Jeremie Lusseau / SOS MEDITERRANEE

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