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Seit 2017 hat die Europäische Union im Rahmen der Politik der Externalisierung ihrer Grenzen Dutzende, wenn nicht Hunderte Millionen Euro an Libyen überwiesen. Die libysche Küstenwache fängt nicht nur Menschen in Not ab und bringt sie gewaltsam nach Libyen zurück, wo Verbrechen gegen die Menschlichkeit von UN-Organisationen angeprangert werden, sondern zögert auch nicht, in der Nähe ziviler Rettungsschiffe das Feuer zu eröffnen, wie es 2023 zweimal bei der Ocean Viking der Fall war. 

Vor etwas mehr als einem Jahr, am 25. März 2023, näherte sich unser Rettungsschiff, die Ocean Viking, einem in Seenot geratenen Schlauchboot. Das Patrouillenboot 656 der libyschen Küstenwache war ebenfalls vor Ort und feuerte Schüsse in der Nähe unseres Schiffs ab.  

Dieses Patrouillenboot wurde Libyen von der EU zur Verfügung gestellt. An diesem Tag fing das Schiff 80 Menschen ab und brachte sie gewaltsam nach Libyen zurück. 

Unter ihnen waren Yawo* und Daniel*. Sie wurden in einem späteren Rettungseinsatz von der Ocean Viking gerettet, als sie im Sommer 2023 erneut versuchten aus Libyen zu fliehen. Sie berichten, wie gefährlich das Abfangen war und wie schwer sie später in Libyen misshandelt wurden: 

Als die libysche Küstenwache uns auf ihr Boot brachte, begannen sie, uns mit ihren Kalaschnikows zu schlagen.“  Daniel *, gerettet im Sommer 2023 

Das war mein siebter Versuch, die Grenze zu überqueren. Sie brachten mich in ein Abschiebegefängnis“, erzählt Yawo *, gerade 17 Jahre alt. 

Daniel *, 26, sagt: „Wir waren mitten auf dem Meer und ein Flugzeug kreiste über uns herum. Als sie uns in das Boot der libyschen Küstenwache brachten, fingen sie an, mit ihren Kalaschnikows auf uns einzuschlagen“. 

 

Im Jahr 2023 wurden mehr als 17.000 Menschen abgefangen und gegen ihren Willen nach Libyen zurückgebracht. 

Im selben Jahr kam eine von den Vereinten Nationen beauftragte unabhängige Untersuchung zu dem Schluss, dass in den Auffanglagern der libyschen Behörden, die von der EU mitfinanziert werden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit an den Gefangenen begangen werden. 

Nachdem Yawo * von der libyschen Küstenwache aufgegriffen worden war, wurde er in ein Auffanglager gebracht, wo er mehrfach misshandelt wurde. „Als die Küstenwache uns aufgegriffen hat, haben sie uns mit dem Boot zurückgebracht und dann in einen Bus gesetzt. Diese Busse fahren nach Ain Zara (Auffanglager). Sie haben mir mein Handy weggenommen, mein ganzes Geld. Sie haben alles behalten. Sie haben mich in ein Auffanglager gebracht, sie haben mich geschlagen, sie haben mir die Arme gebrochen. Das war vor drei Monaten.“ 

Trotz aller Beweise für Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen das internationale Seerecht wurde die Unterstützung der libyschen Küstenwache durch die Europäische Union fortgesetzt. Seit 2017 hat die EU zig Millionen Euro an Libyen gezahlt, für den Grenzschutz sogar Hunderte.  

Daniel* ist einer von vielen Zeugen und Opfern dieser schweren Misshandlungen. „Als sie uns aufgriffen, kam ein großes Auto und wir fuhren ins Gefängnis 55. In diesem Gefängnis kann man nicht sehen, ob es Tag oder Nacht ist. Wir konnten nichts sehen: Es war zu dunkel. Wir waren dort 1.800 Menschen. Wir bekamen ein Stück Brot am Tag. Neun Menschen sind verhungert und infolgedessen gestorben. 

In einem Gespräch mit der libyschen Küstenwache am 25. März 2023 forderte Luisa, die Such- und Rettungsmanagerin der Ocean Viking, immer wieder: „DON’T SHOOT US!“ Ein Journalist an Bord konnte dies dokumentieren.  Credits: Jérémie Lusseau / SOS MEDITERRANEE

 

Wenn die Küstenwache in der Anwesenheit von NGO-Schiffen das Feuer eröffnet. 

Im Juli 2023, nur wenige Monate nach den ersten Schüssen auf die Ocean Viking, bedrohte ein weiteres Patrouillenschiff der libyschen Küstenwache erneut das Leben von Schiffbrüchigen und Mitarbeiter*innen humanitärer Organisationen durch Schüsse, diesmal während eines Rettungseinsatzes. 

Italienischen Medienberichten zufolge war dieses libysche Patrouillenschiff zwei Wochen zuvor von den italienischen Behörden geschenkt worden.  

Das Verhalten der libyschen Küstenwache gegenüber Seenotrettungsschiffen ist nach wie vor äußerst aggressiv. Die Situation in der libyschen Such- und Rettungsregion hat sich nicht verbessert. Auch die Ankündigung der Europäischen Kommission, den Beschuss vom 25. März zu untersuchen, hat sich an der Situation bisher nichts geändert. 

Die Auslagerung der europäischen Grenzkontrollen in Drittstaaten verstärkt die Menschenrechtsverletzungen auf See und an Land. Europäische öffentliche Mittel müssen in die Seenotrettung reinvestiert werden. 

 

Der Kreislauf des Missbrauchs muss gestoppt werden.  

* Die Namen wurden geändert, um die Anonymität der Überlebenden zu schützen. 

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