[STELLUNGNAHME] 234 Überlebende auf der Ocean Viking brauchen gemäß Seerecht schnell einen sicheren Hafen

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Zwischen dem 22. und 26. Oktober hat die Ocean Viking 234 Frauen, Kinder und Männer, darunter mehr als 40 unbegleitete Minderjährige, gerettet. Sie alle befanden sich auf gefährlich überfüllten Booten in akuter Seenot.

Seit Beginn ihrer Such- und Rettungseinsätze im Jahr 2016 ersucht SOS MEDITERRANEE gemäß geltendem Seerecht systematisch die Koordination durch die zuständigen Seenotrettungsleitstellen (MRCCs) und informiert diese über alle Schritte des Einsatzes. Diese Seebehörden haben die Aufgabe, die Such- und Rettungsmaßnahmen zu koordinieren, vom Notruf bis zur Zuweisung eines sicheren Ortes.

Wir fordern alle EU-Mitgliedsstaaten und assoziierte Staaten dazu auf, ihrer Verpflichtung nachzukommen, „dem Rettungsschiff so schnell wie möglich und mit minimaler Abweichung der beabsichtigten Route einen sicheren Ort für die Anlandung von Personen in Seenot zuzuweisen“ (SAR Konvention), und dementsprechend unverzüglich der Ocean Viking und der Humanity 1 einen sicheren Hafen zuzuweisen.

Die Ocean Viking hat drei Rettungen in der libyschen und drei in der maltesischen Such- und Rettungszone durchgeführt. Die in Seenot geratenen Boote wurden entweder über die zivile Notrufhotline Alarm Phone (mit der Ocean Viking in Kopie) an die Seebehörden gemeldet, mit einem Fernglas von der Brücke der Ocean Viking aus gesichtet oder von zivilen, zwischenstaatlichen (Frontex) und militärischen Flugzeugen gesichtet, die die Suche unterstützten.

Bei jedem von SOS MEDITERRANEE durchgeführten Rettungseinsatz kontaktierte die Ocean Viking mehrfach die Seenotrettungsleitstelle, welche für die Such- und Rettungszone, in welcher der Notfall gemeldet oder gesichtet wurde, zuständig ist, nämlich die libyschen und maltesischen MRCCs. In den meisten Fällen antworteten die diensthabenden Beamten nicht auf die zahlreichen E-Mails. Wenn sie doch ans Telefon gingen, bestätigten sie die von der Ocean Viking bereitgestellten Informationen, boten aber weder eine wirksame Koordination des Such- und Rettungseinsatzes an, zu der sie nach geltendem Seerecht verpflichtet sind, noch gaben sie Informationen über den Seenotfall weiter, was für eine Vermeidung von Todesopfern unerlässlich ist. Nichtsdestotrotz rief die Ocean Viking die relevanten Seenotleistellen an und schickte E-Mails bei jedem Schritt der Such- und Rettungseinsätze, darunter: die Weiterleitung von Notrufen, die Information über unsere Reaktion auf solche Notrufe, die Information über die Sichtung eines Bootes, seinen Notzustand, die eventuelle Einleitung der Rettung und schließlich die Evakuierung der Überlebenden auf die Ocean Viking. Darüber hinaus hält die Ocean Viking die anderen MRCCs der Such- und Rettungszone im zentralen Mittelmeer, einschließlich des italienischen MRCCs, systematisch über alle diese E-Mails auf dem Laufenden.

Allerdings wurden wir bei der Rettung von Menschen in Seenot im zentralen Mittelmeer wieder einmal allein gelassen. Die Pflicht, angemessene und wirksame Such- und Rettungseinsätze zu gewährleisten, muss von den Küstenstaaten erfüllt werden (Art. 98 SRÜ 1980), im Mittelmeer wie überall auf der Welt. Seit 2018 gibt es im zentralen Mittelmeer keine europäischen, staatlichen Such- und Rettungsmissionen mehr. Ein drastischer und schwerwiegender Rückzug in einem Meeresabschnitt, der mit über 20.000 Toten seit 2014 zur tödlichsten Fluchtroute über das Meer geworden ist.

Die 234 Frauen, Kinder und Männer an Bord der Ocean Viking, von denen einige vor bis zu fünf Tagen gerettet wurden, dürfen nicht länger auf die Zuweisung eines sicheren Ortes warten. Das SOLAS-Übereinkommen von 1974 und die Änderungen des SAR-Übereinkommens von 2004 besagen, dass ein sicherer Ort „in jedem Fall innerhalb einer angemessenen Zeit zur Verfügung gestellt“ werden muss. Einige der Überlebenden verbrachten bis zu drei Tage auf See, bevor sie von unseren Teams gerettet wurden. Sie sind erschöpft und dehydriert und leiden an mehrfachen Verbrennungen. Einige zeigen deutliche Anzeichen von Folter und Gewalt, die sie in Libyen erlitten haben.

Weitere 180 Überlebende, die in den vergangenen Tagen von der Besatzung der HUMANITY 1 gerettet wurden, warten ebenfalls auf einen sicheren Ort. Diese Menschen haben Schlimmstes auf See erlebt. Sie dürfen von den europäischen Mitglieds- sowie assoziierten Staaten nicht länger ignoriert werden. Sie müssen unverzüglich an einen sicheren Ort gebracht werden, wie es das internationale Seerecht vorsieht. Such- und Rettungseinsätze werden durch internationale Seerechtsübereinkommen geregelt, die Schiffen und Staaten klare Verpflichtungen und einen rechtlichen Rahmen auferlegen. SOS MEDITERRANEE hält sich an diese Bestimmungen und erwartet, dass die unterzeichnenden Staaten dasselbe tun.

 

Hinweis an die Redaktion:

SOS MEDITERRANEE dokumentiert alle Schritte sämtlicher Such- und Rettungseinsätze auf einer frei zugänglichen Website. Dort werden die Kommunikation mit den Behörden sowie die Beobachtungen vom Schiff innerhalb von 48 Stunden protokolliert. Weitere Informationen über den rechtlichen Rahmen von Such- und Rettungseinsätze auf See finden Sie hier: onboard.sosmediterranee.org.

Zudem hat SOS MEDITERRANEE seit 2016 über 250 unabhängige Journalist*innen auf ihren Rettungsschiffen empfangen.

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