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Inhaltswarnung: Im folgenden Beitrag werden Gewalthandlungen und deren Folgen für die Betroffenen geschildert, die belastend und retraumatisierend sein können.

Jenny* wurde im Januar 2021 zusammen mit ihrer Schwester[1] aus einem überbesetzten Schlauchboot gerettet. Auf der Ocean Viking hat sich die 25-jährige aus Kamerun entschlossen, über das zu sprechen, was ihr auf ihrem Weg widerfahren ist: bei der Durchquerung der Sahara über Nigeria, Niger und Algerien bis Libyen. Wenn sie einen sicheren Ort erreicht hat, möchte Jenny* mit älteren Menschen arbeiten.

 

„Sie schlugen uns wie Tiere.“

Als Jenny auf mich zukommt, um ihre Geschichte zu erzählen, bietet uns die Hebamme ihr Sprechzimmer an, damit wir uns vertraulich unterhalten können. Auf dem Bett in dem winzigen Raum sitzend, mit ihrer Schwester an ihrer Seite, spricht Jenny leise, fast unhörbar, besteht aber darauf, ihre Geschichte zu erzählen.

„Mein Fall war wirklich schlimm“, beginnt sie. „Ich habe Kamerun mit meinen Schwestern verlassen. Wir kamen in Nigeria an. Von Nigeria aus nahmen wir [die Strasse nach] Niger, in die Wüste. Zu dieser Zeit, als wir die Strasse nach Niger nahmen, war ich schwanger. Bei all den Dingen, die sie uns antaten, bei der Art, wie sie uns in der Wüste misshandelten, begann ich zu bluten. Sie schlugen uns wie Tiere. Sie schlugen uns wie Tiere und du musst gehorchen.“

Jenny ist erst 25 Jahre alt, vier Jahre jünger als ich. Sie hat nicht geglaubt, dass sie die Durchquerung der Wüste überleben würde. „Ich war so krank, dass ich in der Wüste dachte, ich würde sterben. Aber das war nicht Gottes Wille“, erzählt sie. Indem sie ihre Hände ausstreckt, um mir zu zeigen, wie sehr sie damals zitterte, sagt sie, dass sie aussah wie jemand, der kurz vor dem Tod steht. „Aber durch die Gnade Gottes sind wir da rausgekommen.“

Von Niger aus schaffte es Jenny nach Algerien. Sie erzählt von einem Kreislauf der Ausbeutung, von endlosen Arbeitsstunden in Bars ohne Bezahlung, von fast keiner persönlichen Freiheit. Jenny und ihre Schwestern entkamen schliesslich zusammen mit anderen Frauen aus ihrem Heimatland. Mit Hilfe von Bekannten in Algerien sammelten sie Geld und machten sich auf den Weg.

 

„Sie nahmen alles mit. Sie haben mich vergewaltigt.“

Wieder durch die Wüste, nach Libyen. Als sie in die Wüste aufbrachen, war Jenny noch krank und geschwächt. „Ich hatte keine Kraft“, sagt sie. „Ich bin gelaufen und gefallen. Ich lief; ich fiel. Als wir die Grenze von Algerien nach Libyen überquerten, fiel ich. Ein Mann kam und hob mich auf. Ich versuchte zu laufen; es ging nicht. Er liess meine Hand los. Ich wollte laufen; es war unmöglich.“ Getrennt von der Gruppe, mit der sie die Wüste durchqueren wollte, wurde Jenny von bewaffneten Männern aufgegriffen.

„Als sie mich anhielten, versuchte ich einmal zu schreien. Da haben sie mir den Mund zugehalten. Es waren vier. Es war Nacht.“ Unfähig, die anderen Menschen zu finden, mit denen Jenny unterwegs war, wurde sie von den Männern überwältigt. „Sie vergewaltigten mich“, sagt Jenny. „Sie nahmen mir mein Telefon weg, das ich bei mir hatte. Sie durchsuchten mich. Sie fanden das Geld, das ich bei mir hatte. Sie nahmen alles mit. Sie haben mich vergewaltigt.“

Jennys Schwester hält ihre Hand. Beide weinen, aber Jenny will weiter über diese Nacht in der Wüste sprechen. Der „Führer“, der die Gruppe durch die Wüste brachte, war der erste, der bemerkte, dass Jenny fehlte. Während die Gruppe weiter wartete, ging er zurück, um nach ihr zu suchen. „Alles, was dort geschah, die ganze Szene, hat er gesehen. Aber er konnte nichts tun. Sie hatten Waffen. Alle vier dort, sie hatten Waffen“, erklärt Jenny. „Überall waren Waffen.“

Jenny erzählt, dass sie ihr Kleid und die Perücke am Ort des Angriffs zurückliess. Sie war desorientiert. „Ich wusste nicht mehr, wo ich war. Ich bin nur noch gelaufen und habe Gott gebeten, dass ich meine Leute finden kann. Ich war allein. Ich bin gelaufen, ich bin gelaufen.“ Als der Führer sie fand und sie endlich wieder mit der Gruppe vereint war, wurde den Leuten klar, was geschehen war. „Alle fingen an zu weinen“, sagt sie. „Alle waren in Tränen aufgelöst.“

Jenny ist nicht bereit, darüber zu sprechen, was mit ihr und ihren Schwestern in Libyen passiert ist. Sie sagt, sie seien wieder entführt worden, aber ihre Stimme bricht. „Um uns zu schützen, haben wir so getan, als wären wir schwanger“, sagt sie. „Wir haben Saft auf unsere Binden geschmiert, um so zu tun, als würden wir bluten. Nur damit uns niemand anfassen würde.“ Jenny und ihre Schwester weinen und ich schalte das Diktiergerät aus. Beide sehen erschöpft aus. Es ist genug.

***

*Der Name wurde geändert, um die Anonymität der Geretteten zu wahren.
Fotonachweis: Hippolyte / SOS MEDITERRANEE

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