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Samy*, 16 Jahre alt, aus Nigeria / Kamerun, teilte seine Geschichte mit uns, nachdem er im Januar 2021 von den Teams der Ocean Viking gerettet wurde. Er ist ein unbegleiteter Minderjähriger, aber trotz seines jungen Alters liest sich seine Geschichte wie ein ganzes Leben voller Entbehrungen.

„Mein Vater ist aus Nigeria, meine Mutter aus Kamerun. Sie trennten sich, als ich noch ein Baby war, ich blieb bei meiner Mutter, bis ich 4 war.
Dann wollte mein Vater, dass ich zu ihm komme, also wurde ich nach Nigeria geschickt, wo ich vier Jahre lang blieb. Boko Haram war damals schon aktiv, und es wurde beschlossen, dass ich von Nigeria zurück nach Kamerun fliehen sollte, weg von Boko Haram.

Als ich versuchte, die Grenze nach Kamerun zu überqueren, wurde ich von bewaffneten Männern entführt, ich weiss nicht, wer sie waren. Sie waren Nigerianer, vielleicht gehörten sie zu Boko Haram, vielleicht auch nicht. Ich muss damals etwa acht Jahre alt gewesen sein, oder neun, ich wusste nicht, was passierte. Sie sperrten mich in einen Raum und hielten mich dort vier Tage lang fest. Sie wollten nicht, dass ich die Grenze nach Kamerun überschreite. Ich habe immer noch Probleme mit einem Ohr, weil sie mich geschlagen haben, ich höre seitdem ein ständiges Geräusch in diesem Ohr.

Als sie mich gehen liessen, setzten sie mich irgendwo aus. Ich wusste nicht, wo ich war. Zu dieser Zeit hat Boko Haram oft das Netz gekappt, so dass ich meine Familie nicht erreichen konnte. Ich lebte drei Monate lang auf der Strasse und andere Leute gaben mir Essen und eine Unterkunft.

Als ich in mein Dorf zurückkam, war dort niemand mehr. Meine Familie war weg. Alle sind geflohen. Das war in der Nähe von Mubi.

Ich habe es bis Yola geschafft und konnte schliesslich die Grenze zu Kamerun überqueren. 2013 sah ich meine Mutter wieder – nachdem ich sie fünf Jahre lang nicht gesehen hatte. Sie hatte in der Zwischenzeit geheiratet und ich konnte nicht bleiben – es gab dort nichts für mich.

2016 habe ich Kamerun schliesslich verlassen. Ich ging zuerst nach Niger. Nach Agadez, und dann nach Arlit. Ich hatte kein Geld für die Reise, also musste ich überall arbeiten, wo ich hinkam. In Agadez habe ich Süssigkeiten und andere Lebensmittel verkauft. Manchmal gaben mir die Leute Geld. Ich habe alles gespart.

In Arlit wurde ich von der nigerianischen Armee gefangen genommen und ins Gefängnis gesteckt. Ich weiss nicht, wie lange ich im Gefängnis war. Ein Mann von der Grenzpolizei hat mich befreit. Ich war so ausgehungert und so klein, er hatte Mitleid. Er war ebenfalls Muslim.

Von Niger aus ging ich über die Grenze nach Algerien. Dort habe ich auch gearbeitet, ich habe gelernt, Zement zu mischen. Ich hatte Glück, ich konnte mich auf Baustellen zum Schlafen verstecken. Wenn sie dich erwischen, können sie dir alles wegnehmen.

In Libyen wurde ich zweimal verkauft, das erste Mal in Ghadames. Dann wurde ich nach Zintan geschickt, wo man mich in einem Haus festhielt. Ich durfte es nicht verlassen. Ich wurde ausgehungert, ich bekam Elektroschocks und wurde geschlagen. Sie rufen deine Familie an, um Lösegeld zu verlangen. Solche Dinge passieren – das ist Afrika.

In Zuwara wurde ich ein zweites Mal verkauft, dieses Mal nach Sabratha.

Ich zahlte 1000 Euro an einen Schmuggler, um das Mittelmeer zu überqueren.

Während dieser ganzen Reise konnte ich meine zwei Ringe behalten. Einer ist von meinem Grossvater, dem Vater meiner Mutter, der andere von meiner Grossmutter. Ich stand ihnen sehr nahe. Besonders meinem Grossvater. Er hat mich so sehr geliebt.

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*Name geändert
Aufzeichnung: Julia Schaefermeyer, Communication Officer für SOS MEDITERRANEE an Bord der Ocean Viking
Fotonachweis: Fabian Mondl / SOS MEDITERRANEE

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