„Einige libysche Behörden waren dort und arbeiteten mit der Mafia zusammen. Die Frauen schlugen uns jeden Tag und bedrohten uns. Wenn du geredet hast, haben sie dich geschlagen.“

DATUM

Asha* gehörte zu den 92 Menschen, die am 1. April 2023 in internationalen Gewässern vor der libyschen Küste aus einem in Seenot geratenen Schlauchboot gerettet wurden. Sie ist eine der 47 unbegleiteten Minderjährigen, die sich an Bord der Ocean Viking befanden. Sie ist 17 Jahre alt, stammt aus Somalia und wurde während des Bürgerkriegs von ihrer Familie zurückgelassen. Mit elf Jahren beschloss sie, vor ihrem Onkel zu fliehen, der sie mit einem 83 Jahre alten Cousin zwangsverheiraten wollte. Sie verbrachte drei Jahre in Libyen und erlebte dort Folter. Bevor sie am 4. April 2023 in Salerno, Italien, von Bord ging, erzählte sie den weiblichen Crewmitgliedern der Ocean Viking ihre Geschichte in der Sicherheit des Schutzraumes für Frauen und Kinder an Bord. 

„Ich wurde in Mogadischu geboren. Als ich neun Jahre alt war, spitzte sich der Bürgerkrieg zu. Meinen Eltern gelang die Flucht, aber sie ließen mich zurück. Ich kam bei meinem Onkel unter, aber er behandelte mich nicht gut. Mein Leben bei meinem Onkel war nicht einfach: Ich musste putzen und arbeiten, um bei ihm und seiner Familie wohnen zu dürfen. Sie behandelten mich wie eine Sklavin. Ich wurde auch geschlagen. 

Er wollte, dass ich einen 83 Jahre alten Cousin von ihm heirate, der in Dubai lebte. Ich war zu diesem Zeitpunkt elf Jahre alt.   

Ich weigerte mich, ihn zu heiraten, und floh in das Haus einer Freundin. Ich wollte nach meiner Familie suchen. Eine Freundin schlug vor, nach Libyen zu gehen, was ich im Jahr 2020 auch tat. Ich war vierzehn Jahre alt.

Credit: Jérémie Lusseau / SOS MEDITERRANEE

Da ich kein Geld hatte, brauchte ich die Reise nicht zu bezahlen. Eine Art Mafia erklärte sich bereit, uns mitzunehmen, wenn wir ihnen das Geld in Libyen zurückzahlen würden. Sie brachten uns in einem Auto von Somalia nach Äthiopien, dann in den Südsudan, den Sudan und in die Wüste nach Libyen. Es dauerte einen Monat. Jedes Mal war es ein anderer Fahrer. 

Als ich in Libyen ankam, blieb ich in Kufra. Ich sagte den Leuten, bei denen ich wohnte, dass ich sie nicht bezahlen konnte. Jeden Tag schlugen sie mich, weil ich kein Geld hatte. Ich blieb dort drei Jahre. Drei Jahre lang wurde ich jeden Tag geschlagen. Wieder wurde ich wie eine Sklavin behandelt.   

Ich musste diesen Ort wegen einer Hautinfektion verlassen und wurde nach Tripolis geschickt. Ich wurde in ein Gefängnis** gebracht und blieb dort drei Monate lang mit anderen Frauen. 

Die Frauen, mit denen ich dort zusammen war, sammelten Geld für mich, um die Schmuggler zu bezahlen. Bevor ich auf einem Boot weiterreiste, wurde ich an einen anderen Ort gebracht, einen „Mafia-Ort“. Dieser Ort wurde von einigen libyschen Frauen geführt. Einige libysche Behörden waren dort und arbeiteten mit der Mafia zusammen. Die Frauen schlugen uns jeden Tag und bedrohten uns. Wenn du geredet hast, haben sie dich geschlagen. Das Essen war sehr schlecht, wir hatten nur eine Mahlzeit am Tag. Eines Tages kamen sie mit einem Pick-up und sagten uns, wir sollten einsteigen, das sei unsere einzige Chance zu gehen. Während der Fahrt mussten wir auf den Boden schauen, wir konnten nicht sehen, wohin wir fuhren. 

Am Strand angekommen, mussten wir schnell auf ein Boot springen. Ich saß mit den anderen Frauen zusammen; ich fühlte mich nicht wohl. Ich hatte eine Panikattacke und fing an zu schreien. Ein Mann sagte mir, ich könne mich zu ihm an den Bug des Bootes setzen und er würde mich beschützen. Nach ein paar Stunden sahen wir, dass das Gummiboot an Luft verlor. Wir wissen, dass diese Art von Booten nicht am Ziel ankommen können. Wir sahen Wasser eindringen und bekamen Angst. Die Leute auf dem Boot wollten um Hilfe rufen, aber ich hielt sie davon ab: Ich hatte Angst, dass wir dadurch nach Libyen zurückkehren müssten. 

[…] 

Als ich eure Rettungsboote ankommen sah, begann ich zu weinen. Ich erinnere mich, dass ich eine der Letzten war, die auf die Ocean Viking ging, und als euer Team mir an Bord half, habe ich aufgegeben, ich hatte meine ganze Energie verloren.  

Jetzt hoffe ich, dass meine Familie mich dank dieses Berichts finden wird, das ist mein Traum.“ 

 

Triggerwarnung, das folgende Foto bildet Narben von Folter ab.

 

Verbrennungen durch geschmolzenes Plastik in einem Gefangenenlager in Libyen.
Verbrennungen durch geschmolzenes Plastik in einem Gefangenenlager in Libyen. Credit: Morgane Lescot / SOS MEDITERRANEE

 

* Der Name wurde geändert, um die Identität der Überlebenden zu schützen.   

** Überlebende sprechen oft von „Gefängnissen“, wenn sie über willkürliche Inhaftierungen in informellen Haftanstalten sprechen. 

 

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