Bis wann wird Europa Menschlichkeit und einen Teil der Menschheit im Mittelmeer ertrinken lassen?

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Inhaltswarnung: der folgende Text handelt von einem fatalen Schiffsunglück. 


Während sich das Team an Bord der Ocean Viking auf einen neuen Einsatz auf See vorbereitet, wird es heute der Menschen gedenken, die vor einem Jahr bei einem Schiffsunglück ums Leben kamen. Ein Gedenken begleitet von Trauer und Wut, da die Pflicht zur Hilfeleistung auf See seitdem jeden Tag aufs Neue verletzt wird. Allein zwischen April 2021 und 2022 sind über 1‘500 Menschen im zentralen Mittelmeer gestorben. Da es keinerlei Anzeichen für eine Verbesserung der Situation gibt, wiederholt SOS MEDITERRANEE seine dringende Forderung nach der Wiedereinführung einer europäischen Such- und Rettungsmission im zentralen Mittelmeer.

Am 22. April 2021 wurde das Team von SOS MEDITERRANEE an Bord der Ocean Viking Zeuge eines tödlichen Schiffbruchs vor Libyen, der bis zu 130 Menschenleben forderte. Unter extrem schwierigen Seebedingungen hatte die Crew unermüdlich nach diesem sowie zwei weiteren Booten gesucht, die in den 24 Stunden zuvor von der zivilen Notruflinie Alarm Phone als in Seenot geraten gemeldet worden waren. Während dieses Wettlaufs gegen die Zeit gab es trotz unserer Versuche, die Rettungsleitstellen (MRCC) zu kontaktieren, keine Behörden, die die Suche koordinierten. Schliesslich wurde unser Team von drei Handelsschiffen unterstützt, die durch einen Notruf mobilisiert wurden, der von einem Frontex-Flugzeug übermittelten worden war. Leider endete die Suche mit dem Auffinden der Reste eines schiffbrüchigen Schlauchboots und mehrerer lebloser Körper, die im Wasser trieben.

„Wir werden wahrscheinlich nie genau wissen, wie viele Menschen bei diesem Schiffsunglück ihr Leben verloren haben. Heute vor einem Jahr wurde SOS MEDITERRANEE nicht nur Zeuge der Folgen eines Schiffsunglücks, sondern wir erlebten auch das grausame Fehlen einer staatlich geleiteten Such- und Rettungskoordination. Am 21. und 22. April wurden die Menschen, die sich an Bord dieses seeuntauglichen Schlauchbootes in Seenot befanden, von den Behörden ihrem Schicksal überlassen. Diese Tragödie ist das Ergebnis einer sich zunehmend verschärfenden von Menschen verursachten Katastrophe. Im vergangenen Jahr hat SOS MEDITERRANEE ausführlich über die Fakten und den Verlauf der Ereignisse berichtet, die eindeutig die tödlichen Folgen des derzeitigen Mangels an effizienten Such- und Rettungskapazitäten im zentralen Mittelmeer belegen. Dennoch wurden seither keine positiven Massnahmen ergriffen, um zu verhindern, dass sich solche Tragödien wiederholen“, sagt Luisa Albera, Such- und Rettungskoordinatorin an Bord der Ocean Viking.

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) hat im zentralen Mittelmeer seit letztem April mehr als 1‘500 Todesfälle gezählt. Vor über sechs Jahren ist dieser Meeresabschnitt zur tödlichsten Fluchtroute der Welt geworden. Seit 2014 sind dort, vor den Toren Europas, mindestens 19‘300 Kinder, Frauen und Männer ums Leben gekommen. Eine Zahl, deren Dunkelziffer höchstwahrscheinlich hoch ist.  Denn wir werden nie erfahren, wie viele Schiffe ohne Zeugen untergegangen sind.

SOS MEDITERRANEE wurde von europäischen Bürgerinnen und Bürgern ins Leben gerufen, weil die europäischen Mitgliedstaaten seit 2015 keine ausreichenden Mittel für Such- und Rettungskapazitäten mehr zur Verfügung stellten. Seitdem steht SOS MEDITERRANEE vor einer ernüchternden Feststellung: Internationales Seerecht und Völkerrecht werden immer weniger eingehalten.

SOS MEDITERRANEE bekräftigt den dringenden Aufruf zur Einhaltung des Seerechts im zentralen Mittelmeer. Dies beginnt mit der Wiedereinführung einer von europäischen Staaten geleiteten Such- und Rettungsmission. In seeuntauglichen, überladenen Booten versuchen Menschen sowohl im Sommer als auch im Winter die Flucht übers Mittelmeer. Allein in diesem Monat forderten mehrere Schiffbrüche vor der libyschen Küste laut der IOM mindestens 158 Menschenleben. Bis wann wird Europa Menschlichkeit und einen Teil der Menschheit im Mittelmeer ertrinken lassen?

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