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Im Dezember 2021 kam Achref zu SOS MEDITERRANEE und wurde Teil des Rettungsteams.

„Ich entschied mich, SOS MEDITERRANEE beizutreten, nachdem ich in den zwölf Jahren auf See zahlreiche, schwierige Situationen ohnmächtig miterlebt hatte.“ Als er auf einem Fischkutter arbeitete, bezeugte Achref zwei Schiffbrüche im zentralen Mittelmeer. Das erste Boot war in Küstennähe. „Wir riefen die Küstenwache an und informierten sie über die Notlage, wir warfen den Menschen im Wasser Bojen zu und blieben dort bis die Küstenwache kam“. Leider hatten die Menschen auf dem zweiten Boot weniger Glück. „Wir hörten den Notruf auf VHF 16 [Anm. d. Red. Handfunkgerät für Notrufe mit GPS Position] und änderten unseren Kurs um den Standort zu finden. Als wir sie erreichten waren 17 Menschen verschwunden. Nur Einer überlebte.“ 

„Nach diesen schrecklichen Erlebnissen entschied ich mich, dass ich in der Seerettung arbeiten wollte. Mit dem Such- und Rettungsdienst Schiffe in Seenot im Zentralen Mittelmeer zu retten, das sollte fortan meine Aufgabe sein.“ 

Im vergangenen Februar war er Teil eines extrem schwierigen Rettungseinsatzes, bei dem 130 Menschen aus einem Schlauchboot gerettet werden konnten. Leider kam für zwei Menschen jede Hilfe zu spät.   

„Ich bringe das nicht mehr aus meinem Kopf, ich möchte keine Toten mehr sehen. Es tut so weh, sie nicht gerettet zu haben. Die anderen Überlebenden erzählten uns, dass sie auf dieser zwölfstündigen Überfahrt gestorben seien. Jedes von ihnen ist ein verlorenes Menschenleben. Es ist hart, auch für die Überlebenden. Sie haben ihre Freunde und Verwandten verloren und dazu noch unter unmenschlichen Bedingungen. Auch wenn wir an jenem Tag 130 Menschen gerettet haben, die beiden, die wir nicht gerettet haben, werden für immer fehlen. Wir wünschen uns, das wäre nicht geschehen. Es macht mich wütend, dass den Schleppern in Libyen diese Menschenleben egal sind.  Glücklicherweise waren wir rechtzeitig dort, um die 130 Menschen in Seenot zu retten.“ 

Solange es Menschen gibt, die in Seenot geraten und gerettet werden müssen, will Achref für SOS MEDITERRANEE weiterarbeiten. „Ich möchte so lange als Retter unterwegs sein, bis eines Tages kein Mensch mehr fliehen muss. Bis eines Tages das Leiden ein Ende hat. So lange, bis kein Mensch mehr auf der Flucht im Meer gerettet werden muss.“ 

 

Über Achref: 

Achref ist 34 Jahre alt und stammt aus Mahdia, einer kleinen Stadt an der Ostküste Tunesiens, nicht weit entfernt von Sizilien. Er trat im Alter von zwanzig Jahren in die Seefahrtsakademie ein. Achref studierte zuerst in Tunesien um Erster Offizier zu werden, danach schloss er sein Studium in der Türkei mit einem Zertifikat als Master 500GT ab. [Anm. d. Red. Fähigkeitszeugnis zum Führen und Kommandieren von grossen Segelyachten] 

Nach der fünfjährigen Ausbildung in der Seefahrtsakademie arbeitete Achref an Bord verschiedener Schiffe, sei es in der Fischerei, auf Schiffen der Handelsmarine, auf Schleppschiffen und Yachten, vorwiegend im zentralen Mittelmeer. 2012 arbeitete er über ein Jahr lang auf einem unter französischer Flagge gechartertem Schleppschiff aus Libyen. Auf dem Schiff wurden Arbeiter von den Häfen zu den Bohrinseln transportiert. „Es war kurz nach Gaddafis Tod. Es war schrecklich, die Situation in Libyen mitanzusehen – die Menschen litten, die Infrastruktur war zerstört, es herrschte Chaos“. Nach dieser Erfahrung wechselte Achref die Stelle und wurde Hauptausbildner in Mahdia.  

 

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Foto: Claire Juchat / Laurence Bondard / SOS MEDITERRANEE 

Übersetzung: Pascale Navarra 

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