„Eines Tages beschlossen wir, dass es besser war zu sterben als dieses Leben zu führen.“

DATUM

Asante* kommt aus Eritrea und war als Minderjähriger unbegleitet auf der Flucht, als er am 16. Dezember 2021 von den Teams auf der Ocean Viking gerettet wurde. Er wurde in internationalen Gewässern vor der libyschen Küste eingepfercht auf einem überfüllten, seeuntüchtigen Schlauchboot gefunden. Er trug nicht einmal eine Rettungsweste. Nach einem Notruf hatten die Teams auf der Ocean Viking die ganze Nacht nach dem Boot gesucht. Danach musste Asante* über eine Woche an Bord der Ocean Viking darauf warten, bis die Behörden den 113 Geretteten einen sicheren Ort zuwiesen, an dem sie an Land gehen können. In dieser Zeit wurde er von den medizinischen Teams von SOS MEDITERRANEE und der IFRC betreut und erklärte, was ihn dazu veranlasst hatte, sein Leben auf einem seeuntüchtigen Schlauchboot zu riskieren.  

„Ich habe gesehen, dass Menschen in Libyen wie Tiere behandelt werden“, beginnt Asante*. Der Jugendliche hatte nicht vor, nach Libyen zu gehen. Er war aus seiner von einer Diktatur beherrschten Heimat Eritrea nach Tigray in Äthiopien geflohen. Doch als in dieser Region Krieg ausbrach, ging er weiter in den Sudan. Als er dort nach Arbeit suchte, wurde ihm von Unbekannten ein Job versprochen. Diese entführten ihn nach Libyen, ohne dass er wusste, was vor sich ging. „Sie sagten mir: ‚Wenn du einen Job haben willst, komm mit uns‘. Dann steckten sie uns in einen geschlossenen Ort [ein Internierungslager]. Dort schlug man uns den ganzen Tag. Man kann [die Narben auf] meinem Fuss sehen. Wir waren Hunderte oder Tausende von Menschen, und es gab keine Toiletten. Eines Tages beschlossen wir, dass es besser war zu sterben als dieses Leben zu führen. Wir protestierten, um aus dem Gefängnis zu fliehen [1].“ Während des versuchten Ausbruchs, so Asante*, wurde auf ihn und seine Schicksalsgenossen geschossen.  

Sie haben viele Menschen getötet… Sie haben einige von uns getötet, und bis heute wissen wir nicht, wo einige derjenigen sind, die mit uns zu fliehen versuchten.“ 

Nachdem er anderthalb Monate lang auf der Strasse geschlafen hatte, beschlossen er und einige Freunde, in einem „kleinen Haus“ zu schlafen, dem einzigen Ort, den sie sich leisten konnten, im Slum von Gargaresh in der Hauptstadt Tripolis. Dort hatte Asante* das Gefühl, jeden Moment in Gefahr zu sein. „Wir blieben jede Nacht wach und redeten, um uns zu schützen. Denn irgendein Libyer könnte anderen Leuten erzählen, dass du da bist, und dann kommen sie nachts in dein Haus. Nur schon wegen eines Telefons kann man getötet werden. Sie kamen nachts oft mit Messern und pressten sie mir so gegen den Körper [zeigt die Geste, mit der jemand ein Messer an den Unterleib drückt]. Sie forderten mich auf, ihnen mein Telefon zu geben. Ich hatte es nur benutzt, um meine Familie anzurufen, aber sie haben es mir jedes Mal weggenommen.“ 

Eines Tages wurden Asante* und andere erneut mit ihrem Arbeitswillen gelockt: „Polizisten kamen und sagten: ‚Wir brauchen ein paar Leute zum Arbeiten. Wir nehmen euch für zehn Tage mit, dann lassen wir euch gehen.'“ Erneut wachte Asante in Haft auf, an einem Ort, der ihm noch mehr Angst machte als der erste, den er beschrieben hatte. „Sie brachten uns in ein anderes Gefängnis, in dem es Kriminelle gab. Einige Gefangene waren dort für fünf, manchmal sechs Jahre eingesperrt.“ Diesmal hatte Asante* nicht die Kraft, zu beschreiben, wie er während seiner Haft behandelt wurde, aber er erzählte, wie er versuchte, seine Rechte und die seiner willkürlich inhaftierten Kamerad*innen zu verteidigen: „Eines Tages sagte ich: ‚Sie haben uns gesagt, wir würden hier zehn Tage arbeiten, und jetzt sind es schon zwei Wochen. Lasst uns gehen.'“ Als Antwort bekam er Schläge:  

Sie nahmen mich mit und schlugen mich vor den Augen meiner Freunde, um anderen Angst zu machen. Von diesem Tag an bat niemand mehr darum, gehen zu dürfen. Wir blieben dort für eine lange Zeit. Bis wir eines Tages beschlossen, uns zu organisieren und zu fliehen.“ 

„In Libyen schläft man nie in Sicherheit“, fährt Asante* fort. „Ich hoffe, dass ich dieses Leben jetzt nicht mehr führen muss und mein eigenes Leben beginnen kann. Ich möchte zur Schule gehen, ich möchte lernen und dann eine Familie gründen. Heute habe ich das Gefühl, dass ich eine neue Chance bekommen habe.“ 

*** 

* Der Name des minderjährigen Zeugen wurde zum Schutz seiner Anonymität geändert. 

[1] Überlebende, die auf der Flucht vor Libyen aus dem Meer gerettet wurden, sprechen oft von Gefängnissen, womit Inhaftierungszentren gemeint sind 

Gesammelt von Abdelfetah Muhamed, IFRC Post-Rescue Facilitator und Laurence Bondard, SOS MEDITERRANEE Kommunikationsbeauftragte an Bord der Ocean Viking 

Fotonachweis: Laurence Bondard / SOS MEDITERRANEE 

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